Besuch im Münster St. Wunibald
Wenn Du durch die enge Pforte und die kleine Vorhalle in den weihevollen Raum dieses Gotteshauses trittst, erfasst dich ehrfurchtvolles Schweigen. Der Verstand möchte deuten und erklären, aber das Gefühl ist stärker und lässt dich staunen und bewundern. Erklingt gar noch Orgelmusik, so sind deinen Träumen keine Grenzen gesetzt. Unbehindert von der Schwere der Worte strömen deine Empfindungen durch diesen herrlichen Raum, schweifen deine Gedanken zurück in das ferne Mittelalter. Ehrwürdiges romanisches Dunkel und gotisches Licht fließen hier in schönem Scheinen harmonisch zusammen und wecken in deinem Herzen jenen wundervollen Stimmungs- und Gefühlsgehalt, der die Gemüts- und Glaubenstiefe des mittelalterlichen Menschen einst bewegte. Aus dem kalten Rationalismus unserer Tage bist du plötzlich in die gefühlsbetonte Ungebundenheit deiner Seele versetzt, hier erfasst dich ein Sehnen in die Vergangenheit und in eine erträumte Zukunft, jenseits des Todes. Hier schufen die Kräfte des sich immer wieder erneuernden Glaubensdranges ein Werk von besonderer Schönheit und Raumwirkung. Hier sind die goldenen Tage der mittelalterlichen Kirche zum steinernen Denkmal geworden. Hier in der Heidenheimer Klosterkirche wird noch eindrucksvoll empfunden, was jener Historiker sagte: Die Welt des Mittelalters ist durchzuckt vom geheimnisvollen Wetterleuchten des Wunders.
Im Münster zu Heidenheim ist noch ein Stück vom geistlichen Reichtum der angelsächsischen Kirche lebendig, ein Hauch vom Glaubenseifer des heiligen Bonifatius und seines Schülers Wunibald, der das Kloster gründete. Wohl ist Wunibald schon über 1200 Jahre tot, aber die Spur von seinen Erdentagen reicht über ein Jahrtausend bis in unsere Gegenwart herein.
An den Pfeilern des Langhauses hängt aber auch noch ein Abglanz vom Geiste des heiligen Otto von Bamberg, ein Schimmer vom Zeitalter des heiligen Bernhard. Die strenge Askese von Hirsau ist noch in diesem Raum lebendig und hier zum steinernen Psalm geworden, als die Kirche im 12. Jahrhundert vom Geiste des Mönchtums getragen wurde. Adelbert, der Domschüler und Kanoniker in Bamberg und einstiger Mönch im hirsauisch geleiteten Kloster Paulinzella in Thüringen ließ diese romanische Kirche erbauen, als er Abt in Heidenheim wurde und das Kloster des heiligen Wunibald reformiert hatte. Die Forderung der Reformklöster, es habe jeder Mönch jeden Tag seine Privatmesse zu feiern, rief nach einer Vermehrung der Altarplätze. So schloss nach Osten hin diese dreischiffige romanische Pfeilerbasilika mit einer fünfteiligen Staffelchoranlage ab.
Die Gotik beseitigte im 14. Jahrhundert die romanischen Apsiden und setzte an ihre Stelle einen einschiffigen Chor. Das Formgefühl hatte sich gewandelt, doch die Sehnsucht der menschlichen Seele zu den himmlischen Gefilden Gottes wirkte in einer Zeit erneuerten Glaubenseifers fort. In der steinernen Sprache der schlanken gotischen Fenster mit ihrem formenschönen Maßwerk kommt dieses Sehnen der menschlichen Seele zu den Höhen des Himmels zum Ausdruck.
Beide Bauteile, romanische Basilika und gotischer Chor vereinigen sich in vollendeter Schönheit zu einem gemeinsamen Dienst: sie wollen den Ruhm der Heiligen verkünden, die einst hier in Heidenheim ihr zeitliches Leben beendeten, um den Gläubigen den Weg zum ewigen Leben zu weisen. Der Boden, über dem sich heute das Münster erhebt, ist geheiligt von den Gebeinen der Missionsgeschwister Wunibald und Walburga. Ihre Reliquien sind zerstreut, aber ein Hauch ihrer eigenen Heiligung ist geblieben und spricht aus dem steinernen Denkmal mittelalterlicher Frömmigkeit zu uns, wenn wir dieses Gotteshaus betreten.
Mit zwingender Kraft nimmt uns die Allee der gewaltigen Sandstein- und Suevitpfeiler in Empfang. Die Arkaden geleiten uns im steten Wechsel heller und dunkler Quader zur Vierung, wo die Tumba des Klostergründers Wunibald liegt. Dann öffnet sich ein großer gotischer Spitzbogen und gibt den Blick frei in den hohen gotischen Chor auf Christus, den Erlöser der Welt. Nicht als den Gemarterten empfinden wir ihn am Kreuz, sondern als den, der seine Gemeinde segnet. 1953 erst wurde dieser große Christus hier an Stelle eines neugotischen Altares angebracht, fügt sich aber ausgezeichnet in die Kirche ein. Durch das Zusammenspiel aller, das Ganze gliedernden Kräfte wird eine Einheit von vollendeter Klarheit und Ruhe der Erscheinung erreicht.
Das Heidenheimer Münster bietet noch heute das wohlerhaltene ursprüngliche Bild einer Basilika des 12. Jahrhunderts, die auf den Wohlklang ihrer Maßverhältnisse vertraut und auf allen weiteren Zierrat verzichtet. Aus maßgebender Durchdringung von Längs- und Querschiff entfaltet sich der Bau in edler Gliederung, ohne jede Dumpfheit und ohne drückende Gedrungenheit, die bisweilen romanischen Kirchen anhaftet. Der Hochdrang des Raumes bricht sich hier schon Bahn. Hier in Heidenheim haben wir durch das schöne Zusammenspiel von Romanik und Gotik einen Kirchenraum von ganz besonderer religiöser Stimmung vor uns.
Harmonische Abgeklärtheit, die schöne Regelmäßigkeit und Einfachheit dieses Bauwerkes lassen uns hier vor Bewunderung. schweigen.